Kay Matter
(1)
Dieser Text ist inspiriert von Kathy Ackers „New York City in 1979“, erstmals erschienen 1981 in "Hannibal Lecter, My Father" bei Semiotext(e).
Die Twinks in der U-Bahn
TRANNIES are people who prefer their own ways to cis ways. TRANNIES have made a small world deep within and separated from the world.(2) What has usually been called the world is the cis world. TRANNIES know that they‘re not real. TRANNIES know that everyone else isn’t real. TRANNIES know that they deserve to be treated as if they were real. Or at least that’s what they should know: That their transness is just as real or unreal as all the cis people's transness – and, therefore, those people's cis-ness. TRANNIES make fun of the fact that "cis" sounds like "sissy". TRANNIES know shit. Straight people believe they're real. They believe that their heterosexuality is real. They believe marriage is real. They believe that nation states are real. They believe that when you say something you're just describing a fact. Oh, if they only knew the power of words. Maybe they would gain even more power. Though, probably, they wouldn't – because: Cis people's naive confidence in the reality of things that they're only constituting by saying, naming, repeating them is probably what makes their use of the constituting potential of language even more violent.
(2)
Nach dem Originalzitat: „LESBIANS are women who prefer their own ways to male ways. […] LESBIANS have made a small world deep within and seperated from the world. What has usually been called the world is the male world.“, Kathy Acker, „New York City in 1979“, Penguin Books, 2018, S. 4.
Remo hat eine Idee
Remo denkt, dass er eine gute Idee hat. Er hat ein Paket bekommen und Pakete sind ein Problem. Nicht Pakete an sich, sondern Pakete, die ankommen, während Remo nicht da ist. Und Pakete von DHL-Lieferant*innen, die nicht die Treppe in den dritten Stock hochsprinten wollen oder können, sondern das Paket bei den Nachbar*innen im Erdgeschoss abgeben, um Zeit zu sparen. Oder im DHL-Shop Nr. 677. Remos Problem ist: Wenn er zu den Nachbar*innen im EG geht, muss er behaupten, das Paket sei für seine Freundin. Wenn er in den DHL-Shop geht, muss er seinen Ausweis zeigen, auf dem derselbe Name steht wie auf dem Paket. Wenn er seinen Ausweis zeigt, sagt der Inhaber des DHL-Shops: "Wer soll das sein?" Und Remo muss sagen: "Das Bild ist sehr alt." Oder: "Ich habe meinen Ausweis noch nicht erneuert." Oder: "Ich." Remo macht das aber nicht, sondern lässt die Pakete so lange bei der DHL-Stelle liegen, bis sie wieder zurückgehen. Das kostet Geld. Und viele Dinge kommen nie bei Remo an. Aber Remo hat eine Lösung gefunden. Er schreibt sich selbst eine Vollmacht und unterzeichnet sie mit dem Namen Angela Ferrero.
Remo hat nicht darüber nachgedacht, dass man auch einen Ausweis braucht, um nachzuweisen, dass man die Person auf der Vollmacht ist. Remo hat nur darüber nachgedacht, ob er behaupten wird, dass Angela seine Schwester ist oder seine Ehefrau. Remo kann sich nicht entscheiden. Er findet es eine gute Vorstellung, sich als Ehemann einer Frau auszugeben. Andererseits gleicht er dem Bild von Angela sehr und es wäre glaubwürdig, sich als Angelas Bruder auszugeben.
Image credits: © Kay Matter
Kay Matter (he/they), born in Zurich, is a writer* and theatre maker*. They studied Scenic Writing at the Berlin University of the Arts and Literature, Theatre, and Philosophy at the University of Hildesheim. Their plays have received numerous awards and have been performed internationally. In 2024, Kay Matter’s genre-bending debut novel “Muskeln aus Plastik” (Plastic Muscles) was published by Hanser Berlin. In 2025, they were invited to take part in the Ingeborg Bachmann Prize with a short story. In the 2025/26 season, Matter’s three-part theatre series “Stützliwösch Supertrans” will premiere at Schauspielhaus Zürich. Alongside their writing, Matter teaches as a guest lecturer* at art schools.
Kay Matter
nah Tanasgol Sabbagh
Es gab eine Zeit, da habe ich in der U-Bahn nicht aufgeschaut, weil ich wusste wie nah wir uns kommen.
Du trugst einen Mantel.
Es gab eine Zeit, in der ich nie aufschauen würde, wir kämen uns nah. Du trugst einen Mantel. Trugst eine Bluse, zugeschnürt trugst du die Schuhe, offen.
Du trugst ein Kind in den Armen.
Es gab eine Zeit in der ich nicht habe aufschauen müssen, um zu wissen, dass du da bist.
Nachts streifte ich durch die Waggons. Morgens setzte ich mich an meinen Platz.
Es gab eine Zeit, da trugst du dein Gesicht halb verborgen hinter der Maske, als eine der letzten, die das tat.
Trugst einen Mantel.
Ein kurzärmliges Shirt. Eine Bluse, vielleicht, ein Kleid, zugeschnürte Schuhe.
Es gab einen Winter, der sich auf der Haut bemerkbar machte. Es gab den Sommer, der aus den Poren quoll.
Es gab eine Zeit in der ich die Luft anhielt.
Ich traute meinen Augen nicht.
Ich traute nicht den Blick zu heben.
In der Bahn, nahmst du deinen Platz ein. durchstreiftest den Wagen. Niemand hat dir einen Morgen versprochen.
Die Kinder legten auf dem Schulweg ihre Hände in die Schlaufen.
Sie zogen sich an der Stange hoch, als könnte sich die gewölbte Decke dehnen und der Boden darüber öffnen.
Es gab eine Zeit, da musste ich nur einmal umsteigen, um dich zu sehen. Jedes mal schluckte mich der Boden.
Jedes mal tauchte ich am Gleisdreieck wieder auf.
Es gab eine Zeit, da konnte ich dich überall sehen. Da warst du der Vater auf der rechten Seite und der Sohn auf der linken, eine Distanz so breit wie ein Gang,
zwei Stationen lang. Und dann wieder Witze, Necken und Streicheln. Nähe, die eine ist. Ich sehe dich,
da trägst du ein Lächeln. Trägst in jeder Hand eine Plastiktüte,
da stehst du am Gleis mit deinem Handy und machst Fotos vom Sonnenuntergang.
Da bist du ein Mädchen mit schulterlangem Haar, die Augen groß für die ältere Schwester, das Ohr gespitzt,
wenn sie spricht, ich habe es gesehen:
wie du mit der ganzen Hand um den Finger deiner Mutter passtest.
Wie du den Mund gegen die Scheibe presstest,
dein Kopf so klein, wie das Tor auf dem Glas.
Es gibt den Frühling, der schnell zu heiß wird,
Es gibt den Herbst.
Ich muss nicht erst aufschauen, um zu wissen, dass es wahr ist.
Es gab eine Zeit, da waren wir uns so fremd, dass du mich nicht gegrüßt hast inmitten deiner Blumen. Ich fragte dich nicht nach deinem Tag.
Ich half dir nicht über die Schwelle.
Ich konnte dir nicht helfen. Nicht einmal die Tür kann ich dir öffnen: Wenn das Geräusch erklingt, ist es immer zu spät.
Ich bin zu spät.
Ich muss nicht erst aufschauen, um zu wissen, dass es wahr ist
Es gab eine Zeit da kannte ich jeden meiner Fehler auswendig,
du konntest es an meinem Kiefer sehen. Ich schaue auf:
An jedem Bahnhof eine Umarmung. An jedem Bahnhof eine Träne. An jedem Bahnhof ein Kuss. Pisse.
Zerrissene Fahrkarten und Müll.
Unbarmherzig schließt sich die Tür. Mein Fuß bleibt darin stecken. Es gab diese Zeit Ich konnte dich sehen:
Da trugst du den Kopf im Nacken Aus deiner Nase tropfte Blut da trugst du einen Mantel.
da trugst du dein Gesicht hinter einem Gähnen
Schlucktest die Wut, da trugst ein Lächeln, sechs Stationen lang. Niemand hat dir einen Morgen versprochen[1], stand im Berliner Fenster,
ansonsten lauter Quatsch. Menschen an Gleisen. Wach oder am Schlafen. An jedem Bahnhof eine Frage.
Ich kann dich noch sehen in der U Bahn,
dein Gesicht, wie meins, halb verborgen hinter dem Disyplay
eine Distanz, so breit wie ein Gang.
Und wie sich unsere Schuhspitzen sachte berühren.Und wie wir die Füße schnell zurückziehen. Wir kämen uns nah.
[1] Marsha P. Johnson
Kay Matter (he/they), born in Zurich, is a writer* and theatre maker*. They studied Scenic Writing at the Berlin University of the Arts and Literature, Theatre, and Philosophy at the University of Hildesheim. Their plays have received numerous awards and have been performed internationally. In 2024, Kay Matter’s genre-bending debut novel “Muskeln aus Plastik” (Plastic Muscles) was published by Hanser Berlin. In 2025, they were invited to take part in the Ingeborg Bachmann Prize with a short story. In the 2025/26 season, Matter’s three-part theatre series “Stützliwösch Supertrans” will premiere at Schauspielhaus Zürich. Alongside their writing, Matter teaches as a guest lecturer* at art schools.